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Klassifikation von Karrieren
In welchem Verhältnis stehen die hier untersuchten Karrieretypen der Entdecker und der Künstler zu denen der in Organisationen Angestellten, der Selbständigen, der Unternehmer und weiterer, die sich in den letzten Jahrzehnten herausgebildet haben?
Die Erstellung einer Taxonomie von Karrieren war nicht das Ziel dieses Forschungsprojekts. Es sollte um die Karriereverläufe und die Triebkräfte von Entdeckern gehen und letztlich ein Modell dieser Karrieren entwickelt werden. Und es sollte geklärt werden, ob und wie Entdeckerkarrieren und Künstlerkarrieren sich unterscheiden. Ausgelöst durch methodische Schwierigkeiten im Forschungsprozess entwickelte sich eine viel grundsätzlichere auf der Ebene der allgemeinen Karrieretheorie liegende Frage:
Die Lösung dafür ist die Entwicklung einer Taxonomie, das meint eines Klassifikationsschemas, wie es andere Wissenschaften auch entwickelt haben: Carl von Linnés „Systema Naturae“ für die Biologie, das System der chemischen Elemente, die International Classification of Diseases ICD in der Medizin usw.
Zu den Begriffen: Der hier auch verwendete Begriff Typen ist ein eher alltagsweltlicher, ich gebrauche ihn weiter synonym für die in Taxonomien üblichen Unterscheidungen in Klassen und Arten, weil er mir anschlussfähiger erscheint. Das Ergebnis von erfolgreichen Klassifikationsverfahren sind Taxonomien wie die oben erwähnten.
Was unterscheidet Taxonomien von Aufzählungen?
Man kann nicht klassifizieren, also Unterschiede feststellen und die Beziehungen zwischen Karrieretypen beschreiben, also deren Über-, Unter- und Nebenordnung, wenn man kein Klassifikationsverfahren hat, das festlegt, welches die relevanten Merkmale sein sollen, die der Unterscheidung zugrunde liegen. Das erfordert eine axiomatische Setzung, die falsch oder richtig sein kann, mit ihr steht und fällt bis zum Beweis des Gegenteils die ganze Klassifikation. Solche Schemata und Aufzählungen, die oft genug aber ihr Kriterium nicht offenlegen, gibt es viele, hier das dieser Klassifikation zugrundeliegende Merkmal.
Das Kriterium für dieses Klassifikationsverfahren ist: Durch wen wird die Karriere gesteuert, durch das Individuum oder durch Organisationen, Unternehmen, Institutionen, Berufsverbände?
Hier mein Vorschlag auf Basis des momentanen Erkenntnisstandes. Nicht alle hier aufgeführten Arten von Karrieren wurden wissenschaftlich untersucht und beschrieben, manche Begriffe sind eher alltagsweltlich, dem Zeitgeist folgend.
Klassen von Karrieren
- Organisations- und berufsbezogene Karrieren
- Individuumzentrierte Karrieren
- Hybride Karrieren
Arten von Karrieren
Welche Arten von Karrieren kann man innerhalb einer Klasse unterscheiden? Es sind mehrere Kriterien zur Bildung von Arten möglich: Man nimmt nur Funktionsbezeichnungen wie Selbständige oder Angestellte oder die Benennungen des Berufs bzw. der Profession der Berufstätigen. Es ist ein Mix aus beiden, denn es wurden sowohl Professionen wie Künstler als auch Funktionen wie Selbständige oder Angestellte untersucht.
Innerhalb der Klassen unterscheide ich zwischen Karrierearten, die vor den 80er Jahren vorhanden waren und die Arbeitswelt geprägt haben und neuen, die sich danach entwickelt haben.
A. Organisations- und berufsbezogene Karrieren
Organisation ist hier der Oberbegriff für Institutionen, Unternehmen, Einrichtungen und andere Formen organisierter Sozialsysteme. Beruf ist der Oberbegriff für die klassischen Professionen und die Ausbildungsberufe. Beides ist miteinander verknüpft, man kann Funktionen oft nur mit der ‚richtigen‘ Profession bekommen.
Diese sozialen Systeme geben Einstiegsbedingungen für Bewerber, Laufbahnen, Phasen von Karrieren, Prüfungen und Statuspassagen vor.
Nach Edgar Schein kann man drei Typen von Karrieren in Organisationen unterscheiden: Überschreiten von hierarchischen Grenzen, zweitens von Funktionsgrenzen und der Erwerb von Einfluss und Macht durch Annäherung an das Zentrum. (Schein 1992). Außerdem es gibt branchenspezifische Karrieremodelle, mit denen die Personalentwicklung und -beratung arbeiten und Karrierepfade, die die Organisationen auf Basis ihrer favorisierten Aufbauorganisation (ablesbar an den Organigrammen) entwickeln. Drittens gibt es in den Professionen und Ausbildungsberufen Phasenmodelle für den Erwerb von an Qualifikationen gebundenen Status.
Die drei Faktoren der Karrieretriade für in Organisationen arbeitende Menschen, die in Wechselwirkung zueinander stehen, sind: Laufbahn, professioneller Werdegang und Lebensgeschichte.
Vorhandene Karrieretypen dieser Art:
- Karrieren von abhängig Beschäftigten
Zu unterscheiden in: - Karrieren von Angestellten
- Karrieren von Managern
- Karrieren von abhängig Beschäftigten mit Nebentätigkeitserlaubnis
- .....
Neuere Karrieretypen dieser Art
- Arbeitskraftunternehmer (arbeitet in Organisationen und qualifiziert sich selbst für den Verkauf seiner Arbeitskraft an Organisationen)
- Intrapreneur (Unternehmerische Tätigkeit aus einer Funktion in der Organisation heraus)
- .....
B. Individuumzentrierte Karrieren
Sie zeichnen sich durch eine radikal subjektorientierte Lebensführung aus, weisen häufig disruptive Verläufe auf und werden allein durch den von der Person autonom gesetzten individuellen Sinn ihrer Arbeit und ihres Lebens gesteuert und energetisch getragen.
Die Karrieretriaden für diese Gruppe unterscheiden sich von der ersten Art, dass die Entwicklung der Persönlichkeit als Selbständiger, Unternehmer, Künstler, Entdecker ein Faktor ist neben der Entwicklung der Form der Selbstorganisation und der Produkte ihrer Arbeit. Das mag für die bekannten und vorhandenen Karrieretypen noch ungewöhnlich erschienen sein, für die neuen ist Selbststeuerung und Selbstverantwortung für ihre Karrieren konstitutiv.
Vorhandene Karrieretypen dieser Art:
- Karrieren von Selbständigen (z.B. Freiberuflern)
- Karrieren von Unternehmern
- Künstlerkarrieren
- Entdeckerkarrieren
- .....
Neue Karrieretypen dieser Art:
- Protean Careers nach Douglas Hall: Selbstbestimmte Karriere (nicht auf Funktionen oder Professionen bezogen)
- Creative Work Career: Individuumzentriertes Gefüge aus Teilzeitbeschäftigung in Organisationen (Company work) plus alternativ: Projectwork/ Homework/ Creative Core Work (Leidenschaft)/Care Work
- Boundaryless Careers: Arbeit quer über die Grenzen von Professionen und Berufen, Branchen, Organisationen, Positionen
- Patchwork-Karrieren (verschiedene Jobs und Ehrenamt z.B.)
- Purpose driven Career: Sinn- und werteorientierte statt Status- und Laufbahnorientierte Karrieren
- Selfness-Karriere: Multigraphie statt Biographie (umfasst Arbeits- und Privatleben, Bildung, Engagement, Lebensphasen)
- Creative-Work Karrieren: Neue Synthese-Berufe in kulturellen und innovationsgetriebenen Bereichen und Branchen
- Selbst Preneuere: Soloselbständige, die ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht haben
- Digital Nomad Careers, Selbständige, die von überall remote arbeiten, unabhängig vom Standort ihrer verschiedenen Auftraggeber
- .....
C. Hybride Karrieren
„Hybride Form“ meint die Verbindung zweier ursprünglich getrennter Arten oder einzelner Exemplaren, z.B. Pflanzen und Tieren in der Biologie. Der Begriff wird auch in der Chemie und in den Sozialwissenschaften gebraucht, z.B. hybride Organisationsformen. Ein Hybrid ist also eine Mischform, die Eigenschaften beider Ausgangsformen aufweist.
Vorhandene Karrieretypen dieser Art
- Karrieren mit einem Mix aus Selbständigkeit und Angestelltsein
- Karrieren mit phasenweisen Wechseln zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbständigkeit
- Karrieren von Freelancern (freie Mitarbeiter ohne Festanstellung)
- Free Employees (zeitlich befristetete Verträge mit Unternehmen)
- Professional Job Hopper (hohe Qualifikationen erfordernde Aushilfsjobs auf Zeit)
- …..
Neue Karrieretypen dieser Art
- Multijobber (verschiedene Jobs im Billiglohnsektor)
- Portfoliokarriere (mehrere Tätigkeiten parallel für unterschiedliche Auftraggeber)
- Karrieren von Scheinselbständigen (real abhängig von Auftraggebern, nicht wirklich selbständig)
- Gig Worker Karrieren (wechselnde Auftragstätigkeiten und Auftraggeber, Plattformbasiert (digital), arbeiten auf Abruf und in finanzieller und sozialer Unsicherheit)
- …..
Die Ebene unter der der Arten ist die der Exemplare: Darunter sind einzelne real vorfindliche Karrieren zu verstehen. Sie können dem Idealtypus der Art entsprechen, also Reinformen sein, Mischungen von Arten einer oder mehrerer Klassen sein. Die Beurteilung setzt allerdings voraus, dass für die Karrierearten, vor allem die neu entstandenen, wissenschaftliche Modelle vorliegen, was nicht immer der Fall ist.
Nach Horx‘ Trend Report des Zukunftsinstituts 2006, Douglas Hall, Richard Florida, Brühl und Keicher und Chat JPT 15.9.25,
Bewertung
Manche Arten aller drei Klassen gibt es schon lange, hinzugekommen sind neue Arten. Die Entdecker- und Künstlerkarrieren gehören zu alten individuumzentrierten Karrieren wie auch die der Selbständigen und Unternehmenden. Interessant ist, dass mir erst im Nachhinein auffiel, dass ein Faktor beider Karrieretriaden schon immer die Persönlichkeit war, es sich also um einen individuumzentrierte Karrieretypus handeln muss. Das war intuitiv richtig entschieden, aber die Reichweite dieser Entscheidung habe ich damals nicht verstanden. In der Beratungspraxis war es noch offensichtlicher. Passen die Organisationsform, das Produkt oder die Dienstleistung noch zu meinen Werten und meinen einer persönlichen Entwicklung, war eigentlich immer die Frage in der Arbeit mit Selbständigen und Unternehmern.
Von manchen werden die entstandenen Karriereformen als Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung begrüßt werden, für andere stellen die Auswahlmöglichkeiten, die Notwendigkeit der Verantwortungsübernahme und der Steuerung der eigenen Karriere eine Überlastung dar. Viele der heute in der hybriden Karriereform selbstständig Tätigen werden sich nicht freiwillig dafür entschieden haben und sie werden die Triebkraft zu einer solchen auch individuumzentrierten Karriere nicht haben, wie die, die sie haben und für die die Selbständigkeit ein Glück ist.
Verwendete Literatur
Brühl, Kirsten und Keicher, Imke: Creative Work - Business der Zukunft. Hrsg. Zukunftsinstitut Gmbh Kelkheim 2007
Florida, Richard: The Flight of the Creative Class. Harper Business, New York 2006
Florida, Richard: The Rise of the Creative Class. Basic Books New York 2019
Hall, Douglas T.: Protean Careers of the 21st Century. In: The Academy of Management Perspective, Band 10, Heft 4, 1996, S.8-16
Horx, Matthias; Trendreport 2009 - Die soziokulturellen Schlüsseltrends für die Märkte von morgen. Hrsg. Zukunftsinstitut Kelkheim 2008
Horx, Matthias: Die Zukunftsgesellschaft – Wie wir leben werden. Vortrag am 29.10.2009 in Neustadt