Karrieren und Karriereanker



Triebkräfte von Künstlerkarrieren

Die Fallstudie zu Picassos ist abgeschlossen. Wenn Sie Interesse haben, welche Ausprägung der Entdeckeranker bei Künstlern erfährt, schauen Sie sich doch die Studie zu Picassos Künstlerkarriere an.

Die weiteren Forschungsergebnisse:

  • Künstlerkarrieren sind wie die Entdeckerkarrieren auch individuumzentrierte Karrieren!
  • Aber nicht alle Künstler sind Entdecker!
  • Es gibt eine Triebkraft "Künstler sein und Kunst machen zu müssen"

Künstler ist kein Beruf, sondern eine Lebensform

Wie wir im Abschnitt 'Karriereverläufe jenseits von Laufbahn Beruf' gesehen haben, gibt es kaum noch gesellschaftlich vorgegebene Karrierewege und Normalbiografien. Biographieforscher sagen, die Individuen sind gefordert Kontinuität, Sinnhaftigkeit der Ereignisse und der Abläufe wie auch die darin liegende die Sequenz- und Entfaltungslogik der Biographie selbst konstruieren zu müssen. Eine Last, die zuvor die Gesellschaft durch Institutionalisierung von Erwerbsbiographien den Individuen abgenommen hat.

Aber nicht alle müssen lernen mit diesem Wandel umzugehen. Intellektuelle und Künstler unterliegen seit jeher den „Zwang zur Individualität, d.h. der Verpflichtung auf eine radikal subjektive Lebensführung.“ (Kohli, 233)

Der Bezug auf das Selbst ist sei kein Hedonismus, sondern „eine Form der Suche nach dem letzten Grund für die Orientierung in der Welt“ nach einem wie er sagt “transzendentalen Haltepunkt“.(233-34) Während für die anderen Gruppen diese Suche eine kontinuierliche und nicht endende bleibt, da institutionalisierte Karrierewege und Normalbiografien erodiert sind, haben Künstler m.E. diesen „letzten Grund und Haltepunkt“ recht früh gefunden und halten in der Regel ihr Leben lang daran fest.

Sie wollen und müssen Kunst machen, sie wollen Künstler sein und das wissen sie schon schon mit fünf oder sechs Jahren. Damit haben Sie im Vergleich zu den vielen anderen eine Gewissheit, die ihrem Leben Kontinuität und Sinn - allerdings keine Sequenzialiät, also einen geregelten Ablauf aufeinanderfolgender Phasen - gibt. Sie gehören zur Gruppe derjenigen, die indvidiumgesteuerte Karrieren aufweisen.

Der autonom von ihnen gesetzte Sinn ihres Lebens Kunst zu machen wird zur Triebkraft ihrer Karriere.

Für Menschen, die keine Künstler sind, ist es schwer zu verstehen, wieso Kunst zu machen eine existenzielle Notwendigkeit, ein Lebenszweck, „ihr Leben“ ist und sie sich nicht vorstellen können, etwas anderes zu machen. Wieso, wenn sie keine Kunst machen können, ihr Leben „voller Langeweile, Trockenheit und Bitternis“, ohne Lust und Glück und Freude ist, sie sich fühlen, als sei ihnen „eine Lebensader abgeschnitten“. Dies sind Zitate aus den Interviews mit Künstlern.

Künstler ist kein Beruf, den man wählen und wieder abwählen kann, sondern eine Lebens- und Existenzform, die ihrem Leben Sinn und Orientierung gibt und ihre mentale und körperliche Gesundheit erhält.

Ich selbst habe beim Lesen der Biografien und der Interviews zunächst nicht wirklich verstehen können, wieso Künstler auf die Frage was sie antreibt antworten, dass das keine rationale Entscheidung war, sondern dass sie sich für die Kunst entscheiden mussten und die Kunst eine existenzielle Bedeutung für sie hat. Auch meine Empörung über Picassos Satz zu seiner Frau: „Ich verschwende meine (Energie, KRG) auf eine einzige Sache: meine Malerei. Alles andere wird ihr geopfert – du und jeder andere – einschließlich meiner selbst“ (F. Gilot 1980 S. 294) zeigt das Unverständnis für diese Triebkraft. Nun haben Künstler unterschiedliche Persönlichkeiten, und neben der Triebkraft Kunst zu machen noch andere Persönlichkeitsmerkmale und sind nicht so radikal wie der oft völlig unsensibel agierende Picasso. Ihre Triebkraft ist meist ein Problem für die privaten und sozialen Beziehungen der Künstler, denn Triebkräfte sind immer tyrannisch.

Wenn auch die Künstler durch ihre Entscheidung Kunst zu machen die Sinnfrage ein für alle Mal beantwortet haben, so haben sie doch im Vergleich zu anderen, die durch die gesellschaftlichen Veränderungen mit dieser Aufgabe neu betraut sind, in ihrer Zunft Modelle und Vorbilder wie man so ein Leben gestalten kann.

Modelle, die ihnen zeigen, wie man den „Zwang zu Individualität“ und „die Verpflichtung auf eine radikal subjektive Lebensführung“ (Kohli) produktiv für das künstlerische Schaffen und zuträglich für die Entwicklung ihrer Künstlerpersönlichkeit und ihrer sozialen Beziehungen gestalten kann.
Denn beides ist notwendig, um Künstlern die gewünschte und für die Produktion von Kunst erforderliche Freiheit und Selbstbestimmung sicher zu stellen, legt Individuum aber sehr viel auf, wovon soziale Normen befreit hätten.

Mit dieser Ablehnung klassischer Karrierepfade und normaler Erwerbsbiografien haben sie strukturell ähnliche Probleme wie Menschen mit individuumzentrierten Karrieren, die sich nicht in Organisationen bewegen mögen oder können und von ihnen natürlich auch abgelehnt werden. Für freie Künstler zeigt sich dieses Problems selbst darin wie sie mit Auftragsarbeiten umgehen, hier ein Zitat aus einem Interview : „Das Eigentliche der Kunst ist das freie Arbeiten, die Selbstbestimmtheit". Schon die Suche nach Mäzenen, nach Institutionen, die sie finanziell unterstützen können, ist für sie schwierig, weil sie sich damit abhängig machen. In den Interviews wird Marketing für die eigenen Kunstwerke als notwendige, meist aber unbeliebte Tätigkeit, für die sie sich zum einen aufgrund ihrer Persönlichkeit weniger eignen, zum anderen, weil sie das professionelle Know-how dafür meist nicht besitzen.

Die Triebkraft Kunst machen wollen und müssen

Merkmale dieser Triebkraft
Fragebogen für Interessierte zur Klärung der Frage, ob man selbst diese Triebkraft hat.
work in progress!

tar_06, id279, letzte Änderung: 2025-09-30 10:47:46

© 2023 Prof. Dr. phil. habil. Kornelia Rappe-Giesecke