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Die Fallstudie zu Pablo Picasso ist abgeschlossen. Wenn Sie Interesse haben, welche Ausprägung der Entdeckeranker bei Künstlern erfährt, schauen Sie sich doch die Studie zu Picassos Künstlerkarriere an
und den überraschende Ergebnisse bringenden Vergleich der Karrieren von Picasso und Reinhold Messner
Kunst machen müssen - Die Menschen- und Bergnatur entdecken
Warum finden Sie hier einen Abschnitt über Künstlerkarrieren, wenn es um Entdeckerkarrieren geht?
In meiner Theorie- und Konzeptentwicklung ging es zunächst um, wie ich heute sagen würde, organisationsbezogene Karrieren. Dass dieses Karrieremodell und das Beratungskonzept einen bestimmten Geltungsbereich haben und nicht für alle gelten, wurde in der Auseinandersetzung mit den Karrieren von Selbstständigen, von Künstlern und Entdeckern schon bald, also etwa 2005 und 2006, als ich die ersten Weiterbildungen für Karriereberatung anbot und an der Habilitation über Karriereberatung arbeitete, klar.
Wenn man diese Karrieren nicht nur als Abweichung von organisationsbezogenen betrachten will, dann braucht es spezifische theoretische Modelle und unterschiedliche Vorgehensweisen in der Beratung. Das gelang für die Selbstständigen und die Unternehmer, aber noch nicht für die Künstler und die Entdecker. Auch die Frage, ob Künstler auch Entdecker sind, war nicht zu beantworten, das ist erst jetzt möglich.
Vorab die Forschungsergebnisse aus der Analyse von Interviews mit elf Künstlern
- Künstlerkarrieren sind wie die Entdeckerkarrieren auch individuumzentrierte Karrieren!
- Aber nicht alle Künstler sind Entdecker!
- Es gibt eine Triebkraft "Künstler sein und Kunst machen müssen"!
Die Gliederung dieser Seite:
- Künstler ist ein Beruf und eine Lebensform
- Sind Künstler Entdecker?
- Die Triebkraft Kunst machen wollen und müssen
- Welche weiteren Triebkräfte oder Karriereanker haben Künstler?
Künstler ist ein Beruf und eine Lebensform
Wie wir im Abschnitt 'Karriereverläufe jenseits von Laufbahn Beruf' gesehen haben, gibt es kaum noch gesellschaftlich vorgegebene Karrierewege und Normalbiografien. Biographieforscher sagen, die Individuen sind gefordert Kontinuität, Sinnhaftigkeit der Ereignisse und der Abläufe wie auch die darin liegende die Sequenz- und Entfaltungslogik der Biographie selbst konstruieren zu müssen. Eine Last, die zuvor die Gesellschaft durch Institutionalisierung von Erwerbsbiographien den Individuen abgenommen hat.
Aber nicht alle müssen lernen mit diesem Wandel umzugehen. Intellektuelle und Künstler unterliegen seit jeher den „Zwang zur Individualität, d.h. der Verpflichtung auf eine radikal subjektive Lebensführung.“ (Kohli, 233)
Der Bezug auf das Selbst ist sei kein Hedonismus, sondern „eine Form der Suche nach dem letzten Grund für die Orientierung in der Welt“ nach einem wie er sagt “transzendentalen Haltepunkt“.(233-34) Während für die anderen Gruppen diese Suche eine kontinuierliche und nicht endende bleibt, da institutionalisierte Karrierewege und Normalbiografien erodiert sind, haben Künstler m.E. diesen „letzten Grund und Haltepunkt“ recht früh gefunden und halten in der Regel ihr Leben lang daran fest. Wir sprechen in der Biographischen Anthropologie vom autonom vom Individuum gesetzten Sinn der Karriere, der zu ihrer entscheidenden Triebkraft wird.
Mehr lesen zu Sinn und Triebkräften:
Triebkräfte
Sie wollen und müssen Kunst machen, sie wollen Künstler sein und das wissen sie schon schon mit fünf oder sechs Jahren. Ihr Karriereziel ist Kunst zu machen: Werke zu erschaffen, sich auszudrücken und Wirkung auf andere zu erzielen. Damit haben Sie im Vergleich zu den vielen anderen eine Gewissheit, die ihrem Leben Kontinuität und Sinn - allerdings keine Sequenzialiät, also einen geregelten Ablauf aufeinanderfolgender Phasen - gibt. Sie gehören zur Gruppe derjenigen, die individuumgesteuerte Karrieren aufweisen.
Für Menschen, die keine Künstler sind, ist es schwer zu verstehen, wieso Kunst zu machen eine existenzielle Notwendigkeit, ein Lebenszweck, „ihr Leben“ ist und sie sich nicht vorstellen können, etwas anderes zu machen. Wieso, wenn sie keine Kunst machen können, ihr Leben „voller Langeweile, Trockenheit und Bitternis“, ohne Lust und Glück und Freude ist, sie sich fühlen, als sei ihnen „eine Lebensader abgeschnitten“. Dies sind Zitate aus den Interviews mit Künstlern.
Ich selbst habe beim Lesen der Biografien und der Interviews zunächst nicht wirklich verstehen können, wieso Künstler auf die Frage was sie antreibt antworten, dass das keine rationale Entscheidung war, sondern dass sie sich für die Kunst entscheiden mussten und die Kunst eine existenzielle Bedeutung für sie hat. Auch meine spontane Empörung über Picassos Satz zu seiner Frau: „Ich verschwende meine (Energie, KRG) auf eine einzige Sache: meine Malerei. Alles andere wird ihr geopfert – du und jeder andere – einschließlich meiner selbst“ (F. Gilot 1980 S. 294) zeigt das Unverständnis für diese Triebkraft. Nun haben Künstler unterschiedliche Persönlichkeiten, und neben der Triebkraft Kunst zu machen noch andere Persönlichkeitsmerkmale und sind nicht so radikal wie der oft völlig unsensibel agierende Picasso. Ihre Triebkraft ist meist ein Problem für die privaten und sozialen Beziehungen der Künstler, denn Triebkräfte sind immer tyrannisch.
Modelle, die ihnen zeigen, wie man den „Zwang zu Individualität“ und „die Verpflichtung auf eine radikal subjektive Lebensführung“ (Kohli) produktiv für das künstlerische Schaffen und zuträglich für die Entwicklung ihrer Künstlerpersönlichkeit und ihrer sozialen Beziehungen gestalten kann.
Denn beides ist notwendig, um Künstlern die gewünschte und für die Produktion von Kunst erforderliche Freiheit und Selbstbestimmung sicher zu stellen, legt Individuum aber sehr viel auf, wovon soziale Normen befreit hätten.
Mit dieser Ablehnung klassischer Karrierepfade und normaler Erwerbsbiografien haben sie strukturell ähnliche Probleme wie andere Menschen mit individuumzentrierten Karrieren, die sich nicht in Organisationen bewegen mögen oder können und von ihnen natürlich auch abgelehnt werden. Für freie Künstler zeigt sich dieses Problems selbst darin, wie sie mit Auftragsarbeiten umgehen, hier ein Zitat aus einem Interview: „Das Eigentliche der Kunst ist das freie Arbeiten, die Selbstbestimmtheit". Schon die Suche nach Mäzenen, nach Institutionen, die sie finanziell unterstützen können, ist für sie schwierig, weil sie sich damit abhängig machen. In den Interviews wird Marketing für die eigenen Kunstwerke als notwendige, meist aber unbeliebte Tätigkeit, für die sie sich zum einen aufgrund ihrer Persönlichkeit weniger eignen, zum anderen, weil sie das professionelle Know-how dafür meist nicht besitzen.
Künstler gehören zur Gruppe der Selbstständigen oder sie sind - eher selten - in Organisationen angestellt, üben dann aber meist eine andere Tätigkeit aus als Kunst zu machen, sie lehren oder sie planen und konzipieren usw. Oder sie verfolgen keine rein individuumzentrierte Karriere wie Künstler, die von ihrer freien Kunst leben können, noch eine organisationsbezogene, sondern mehr oder weniger freiwillig eine hybride Karriere.
Die Steuerung der Karriere übernimmt weiterhin der individuelle Sinn Kunst zu machen als Triebkraft Ihres Handelns. Diese steuert ihre Karriere, auch wenn sie andere Tätigkeiten als freie Mitarbeiter und Teilzeitmitarbeiter übernehmen und es ihnen gelingt, sich dabei Freiheiten für ihr Tun, z. B. für die Inhalte und die Art des Unterrichtens zu schaffen. Dass es sich um eine Triebkraft handelt, bestätigt sich in allen Interviews, die ich analysiert habe. Dazu gleich mehr.
Kunst zu machen ist ein Beruf, aber noch mehr eine existentielle Notwendigkeit, eine körperlich empfundene Lebensnotwendigkeit, die sehr stark mit der Physis und der Psyche der Person verbunden ist. Glücksgefühle, Spaß, Freude, sich spüren, zu sich kommen, sich ausdrücken wollen, nicht vertrocknen, diese Lebensader erhalten. ‚Entzug‘ vom künstlerischen Schaffen wird körperlich empfunden und als schmerzhaft oder gar bedrohlich erlebt. Diese Formulierungen drücken das Getriebensein durch die Triebkraft aus.
Sind Künstler Entdecker?
Diese Frage beschäftigt mich schon seit 2008 und war der Anlass, mich vor zwei Jahren wieder mit diesen beiden Karrieretypen zu beschäftigen. Nachdem die Fallstudie zu Picasso zum Ergebnis hatte, dass sowohl die Triebkraft Kunst machen zu müssen als auch die Triebkraft Neues entdecken zu müssen seine Karriere steuern, war für mich die Frage, ob dies auf alle Künstler zutrifft. Beantwortet werden konnte diese Frage für bildende Künstler, die als freischaffende Künstler arbeiten und davon leben können.
Mein Datenmaterial besteht aus elf Tiefeninterviews mit Malern, Bildhauern und Fotografen. Acht Interviews und Rückkopplungsgespräche mit Künstlern wurden im Rahmen des Dissertationsvorhabens von Karin Reuter geführt und in einer mehrsemestrigen Forschungswerkstatt für Promovierende an der Hochschule Hannover analysiert. Im Rahmen dieser Interviews wurden auch die Karriereanker erhoben. Drei Interviews stammen aus dem von meinem Mann Prof. Dr. Michel Giesecke an der Universität Erfurt veranstalteten Forschungsseminar zu Künstlerreportagen und Porträts.
Meine Frage war, sprechen Künstler von Entdecken, wenn sie ihre künstlerische Praxis beschreiben und wenn was verstehen Sie dann darunter. Der Begriff Entdecken wird in seiner alltagsweltlichen Bedeutung mehrfach genutzt im Kontext mit Neugier und Überraschung. Zwei sprechen auf Nachfragen explizit von Entdeckungen. Ein Künstler bezeichnet sie als persönliche Entdeckungsreise, die ihm hilft immer authentischer zu werden und innere Freiheiten zu finden. Der zweite sagt, dass das künstlerische Arbeiten etwas mit Neugier, Phantasie, Entwickeln und Entdecken zu tun hat.
Und er bestätigt meine Hypothese, dass nicht alle Künstler Entdecker sind. Er spricht von ‚ambitionierten Künstlern‘, durch deren Entdeckerlust neue Kunstepochen entstehen.
Im wissenschaftlichen Sinne sind es keine Entdeckerkarrieren. Das Kriterium dafür ist das Modell der Entdeckungspraxis mit den drei Faktoren: Neues entdecken, Neues erfinden und Neues gründen oder begründen. Nur wenn disruptive, radikale Innovationen das Ergebnis sind wie z.B. bei Picasso oder anderen Malern, die neue Stile geschaffen haben, kann man davon sprechen, wenn also gleichzeitig erfunden, entdeckt und gegründet wird. Dann kommt zu der Triebkraft Kunst machen zu wollen die Triebkraft Entdecken zu wollen. Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass beide zu den individuumzentrierten Karrieren gehören. Im alltagsweltlichen Sprachgebrauch könnte man sie auch als Entdecker bezeichnen und manche Künstler werden dies in ihrer Selbsttypisierung auch tun.
Die Triebkraft Kunst machen wollen und müssen
Kunst zu machen ist ein Beruf, für die Künstler selbst überdies eine existentielle Notwendigkeit, eine nicht nur gefühlte, sondern wie die Interviews zeigen auch körperlich empfundene physische Lebensnotwendigkeit. ‚Entzug‘ vom künstlerischen Schaffen wird körperlich empfunden als sich nicht spüren können, sich nicht ausdrücken können, vertrocknen, die Lebensader wie abgeschnitten und als bedrohlich erlebt. Wenn sie ihre Triebkraft leben können, haben sie Spaß, sind sie im Flow, spüren sich, kommen zu sich, sind glücklich über gelungene Werke.
Sie müssen Kunst machen können und zwar im eigenen Auftrag, nach selbstgewählten Regeln, selbst gewählten Themen, eigenen Ideen und in völliger Freiheit.
Ihre Existenzform, in der die künstlerische Arbeit und das, was Menschen, die organisationsbezogene Karrieren verfolgen, als Privatleben bezeichnen, sind kaum voneinander zu trennen.
Sie sind getrieben und empfinden dieses Getriebensein als sinnvoll, notwendig und für sie als gegeben.
Wie äußert sich diese Triebkraft im realen Künstlerleben?
Was sagen Künstler, wenn man sie direkt danach und auch nach dem Entdeckenwollen fragt. Was sagen sie dazu, wie man sie belohnen kann, was richtige, gute und produktive Arbeit für sie ist und was nicht, wann sie sich langweilen, was Erfolg für sie ist, wie sie mit Scheitern umgehen und was Horrorvorstellungen für sie sind.
Die elf Interviews und die Fallstudie zu Picasso wurden mit Kategorien eines Interviewleitfadens, den ich vor längerer Zeit entwickelt hatte, um Werte und Karriereanker von Berufstätigen in der Beratung herauszufinden, analysiert. Es passten nicht alle Kategorien, denn wie schon bei der Anwendung der Karriereanker stellte sich heraus, dass diese eher für Menschen mit organisationsbezogenen Karrieren entwickelten Tools nicht auf Entdecker und Künstler angewandt werden können. Ein paar der Fragen sind geblieben, andere habe ich neu formuliert.
Für wen hat diese Analyse welchen Nutzen?
Sicher für Künstler, die ihre Karriere und deren Triebkräfte verstehen wollen und zwar nicht als Abweichung von den organisationsbezogenen Karrieren, sondern als einen eigenständigen Typus. Das gleiche gilt für die Menschen, mit denen diese Künstler leben und arbeiten und für solche, die sie beraten wollen.
Und sie hat einen Nutzen für Forscher, die sich mit Karrieretheorien beschäftigen. Sie finden hier eine differenzierte Darstellung der Merkmale eines Typus der individuumbezogenen Karrieren, der Künstlerkarrieren.
Zur Darstellungsform: Es werden manchmal aussagekräftige Formulierungen der Künstler selbst, manchmal Paraphrasen längerer Passagen und auch meine Zusammenfassungen der Aussagen präsentiert. Die Zitate von Picasso kann man in der Fallstudie über ihn nachlesen. Die Aussagen der anderen Künstler stammen aus anonymisierten, nicht veröffentlichten Interviews. Die auf die Person bezogene Form der Frage, die man in den Interviews gebraucht, habe ich beibehalten, so können interessierte Künstler sie für sich beantworten und mit den Antworten der anderen vergleichen.
Freie und bildende Künstler zu ihrem Künstlerdasein und ihrer Karriere
Wie bei Entdeckern auch beginnt ihre Karriere im Kindesalter. Sie oder auch andere erkennen früh durch ihr Tun, dass sie Talent haben, begabt sind und etwas können, was andere nicht können und dass es ihnen leichtfällt. Sie haben Spaß am Zeichnen oder Gestalten und praktizieren das mit großer Begeisterung und Leidenschaft.
Für Kinder aus Familien, in denen es eine Nähe zur Kunst gibt, ist es schon mit 5,6 Jahren klar, dass sie Künstler werden wollen, dass dies ihr Lebenssinn ist. Picasso macht nie Kinderzeichnungen, sondern mit fünf Jahren solche, die ein akademisches Niveau haben.
In anderen Familien, für die Kunst ‚eine brotlose Kunst‘, und Künstler sein eine undenkbare Karriere ist, braucht es Unterstützung von außen, um den Berufswunsch formulieren und ihn zu verfolgen zu können, sie sind dann meist 10 Jahre oder älter.
Picasso spricht vom einzigen Lebenszweck, andere von einem existenziellen Bedürfnis, dem Schlüssel zum Sein und davon, dass die Kunst ihrem Leben seinen Sinn gibt. Kunst ist für sie eine befriedigende, Glück produzierende Tätigkeit und sie können sich nichts anderes vorstellen in ihrem Leben als Kunst zu machen.
Worauf würden Sie ungern verzichten?*
Für Picasso ist es die Möglichkeit, seine ganze Energie auf die Kunst verschwenden zu können. Andere sprechen davon, diesen wichtigen Teil ihres Wesens leben zu können, zum Beispiel ihr Talent, oder ihrer Berufung folgen zu können.
Freie Kunst machen zu können, also selbst bestimmen zu können, wie und an was sie arbeiten, ihre eigenen Regeln zu setzen, ihrem eigenen Rhythmus zu folgen, sich die Aufträge selber zu geben und nicht für Auftraggeber zu arbeiten, ist das höchste Ziel. Alle betonen wie wichtig die individuelle Freiheit für sie ist, sowohl beim Arbeiten wie in ihrem Leben überhaupt.
Der Künstler schafft, weil er schaffen muss und was auch immer der Ursprung dieses Triebes sein mag, der mich zum Schaffen zwingt, ich will ihm eine Form geben. So formuliert Picasso diese Triebkraft, ein anderer so: Dies sei keine rationale Entscheidung, man habe den Antrieb einfach in sich und könne nicht ohne Kunst zu machen leben.
Man wolle das, was man um sich herum erlebe, widerspiegeln und darüber mit der Umwelt kommunizieren.
Ein anderer sagt, dass es ihm darum ginge sich zu verwirklichen, in dem er seine Wünsche und Vorstellungen in einem Medium materialisiert, etwas von sich erzählt und darüber mit seiner Umwelt kommuniziert. Sich mit jedem Bild zu steigern, immer besser zu werden, sich zu vervollkommnen, ein künstlerisches Gesamtwerk zu schaffen ist der Antrieb, der ihnen hilft ein Leben lang Kunst machen zu wollen und zu können.
Picasso verneint das, auch in Zeiten der Armut wollte er nicht einmal Auftragskunst machen: Ich war oft pleite, und doch habe ich immer jeder Versuchung widerstanden, von etwas anderem als von meiner Malerei zu leben. Ich hätte auch für satirische Zeitschriften zeichnen können (…) Aber ich wollte mein Leben durch meine Malerei verdienen.
Andere: Wenn man sagt, das sei meine Lebensaufgabe, könne man das nicht korrigieren und den Beruf wechseln. Weder könnten sie etwas anderes noch würde es ihnen Spaß machen und sie würden auch nicht das darin finden, was sie in ihrer Kunst finden.
Bei allen Antworten geht es um den künstlerischen Prozess.
Wenn sie ihrem Drängen nachgeben und das tun, was sie gerade beim Malen interessiert. Wenn sie im Schaffens- und Schöpfungsprozess sind und es ihnen gelingt auszudrücken, was in ihnen ist und sie zu sich kommen.
Wenn sie neugierig sind, Risiken und Wagnisse eingehen, sich selbst überraschen und an die Grenze dessen gehen, was sie können und kennen.
Wenn es ihnen gelingt, sich mit jedem Tag zu steigern.
Alles was ich im Zusammenhang mit der Kunst tue, bereitet mir die größte Freude (Picasso). Alle sagen, dass Malen großen Spaß macht. Die Rede ist auch einem Glücksrausch, von beglückenden Flowerlebnissen, von hoher innerer Aufmerksamkeit, dem zu sich selbst zu kommen und von inneren Sehnsüchten, die beim Malen geweckt werden.
Spürt der Künstler, dass das Werk nicht gelingt, entsteht auch die Angst vor dem Scheitern, die man nur dann überwindet, wenn man den Mut findet einen Befreiungsschlag zu machen. Ist der künstlerische Prozess zu Ende, ist es das Glücksgefühl, das perfekte Bild im Kasten zu haben, Glück entsteht auch durch die Zufriedenheit mit dem gelungenen Werk.
Picasso, der beide Triebkräfte Entdecken und Kunst machen hat, sagt: In unseren Themen wahren wir die Freude der Entdeckung, dass Vergnügen am Unerwarteten; unser Thema an sich muss eine Quelle des Interesses sein.
Einer der Künstler führt folgende Unterscheidung ein: Kunst hat was mit Phantasie, mit Entwickeln und Entdecken zu tun. Bei ambitionierten Künstlern hat das was mit Entdeckerlust zu tun. Durch die Entdeckerlust der Künstler werden neue Epochen geboren.
Einige Künstler benutzen das Wort Entdecken und zwar in einem eher alltagsweltlichen Sinne. In folgendem Fall geht es um Selbsterfahrung und Entwickeln der Künstlerpersönlichkeit, wobei zwischen einer beruflichen und einer ‚persönlichen, privaten‘ nicht unterschieden wird: Es sei eine persönliche Entdeckungsreise, er entdecke wie schön das Leben sein kann, dass er mit seinem Schaffen weiter wachsen kann, authentischer werden kann, die inneren Räume, die innere Freiheit in sich entdecken könne.
Für die meisten Künstler sind die aus der Selbstständigkeit entstehenden Aufgaben wie Marketing, Verkauf von Bildern, Verhandlungen mit Galeristen und sich um die Finanzierung ihres Lebensunterhalts kümmern zu müssen unerfreuliche Tätigkeiten, die sie davon abhalten Kunst zu machen. Das könne man auch an einen Manager delegieren, der sich um Werbung, Marketing und Kundenbetreuung kümmert hat, wenn man genug Geld hat, damit habe er gute Erfahrungen gemacht, sagt ein Künstler, der damit Erfahrung hat.
Unwillen erzeugen auch Auftragsarbeiten, wie zum Beispiel ein Bild, das nicht zum Erwerb steht, für einen Kunden noch mal malen zu sollen. Auch Picasso hatte einen großen Widerwillen gegen Aufträge, meist gelang es ihm, wenn er sie angenommen hatte, die Auftraggeber mit bereits vorhandenen Werken ‚abzuspeisen‘ oder weigerte sich schließlich doch diese Aufträge auszuführen.
Frei zu sein, den Tag gestalten können, nicht gestört zu werden, um die Kräfte optimal einsetzen zu können.
Was stört? Ein Künstler hat sich die Möglichkeit zu einem ‚zurückgezogenen Leben‘ geschaffen und will komplett vom Markt in Ruhe gelassen werden.
Picasso beklagt den seiner Berühmtheit geschuldeten Ansturm von Leuten, die ihn in seiner Wohnung „unter verschiedenen Vorwänden“ sprechen möchten. Er könne nicht gut arbeiten. Zu viele Besucher, zu viel Zusammenkünfte, Delegationen und Empfänge. Er malt meist nachts: Es muss überall Dunkelheit sein, außer auf der Leinwand, damit der Maler von seinem eigenen Werken hypnotisiert wird und fast wie in Trance malt.
Ein Maler beschreibt das Optimum für sich so: Sich die eigenen Strukturen und die Ordnungen selber schaffen und sie auch wieder auflösen zu können um Chaos herbeizuführen, denn Kreativität brauche Struktur.
Erfolg ist es, sich die Bedingungen für freie Kunst schaffen zu können, ein gutes Bild gemalt zu haben, Kunstinteressierte, Käufer, Galeristen, Mäzene von seiner Kunst überzeugen zu können.
Ich bewerte selbst, was Erfolg ist sagt jemand und weist darauf hin, dass die Rankings der meist gehandelten Künstler nichts darüber aussagen, ob sie gute Künstler sind, sondern ob sie sich gut verkaufen. Ökonomischer Erfolg kommt an zweiter Stelle, wichtiger ist, ob ein Werk nach den eigenen Kriterien gute Kunst ist.
Picasso: Ein Künstler braucht Erfolg. Und nicht nur, um davon zu leben, sondern vor allem, um sein Werk schaffen zu können. (Das Gesamtwerk ist gemeint). Erfolg ist, im Schutz meines Erfolges tun zu können, was ich will. (Picasso meint den finanziellen Erfolg).
Wenn es perfekt ist, ein gelungenes Bild ist. Erfolg ist das Glücksgefühl, das Bild ist gut
Wenn man originell ist und Werke schafft, die Neuentwicklungen in der Kunst darstellen.
Wenn ich Menschen berühren kann. Wenn ich als Künstler ernst genommen werde, zu Ausstellungen eingeladen werde, Menschen meine Bilder kaufen.
Geld brauchen Künstler natürlich, um ihren Lebensunterhalt zu sichern, aber auch um ihre künstlerische Freiheit zu behalten Werke schaffen zu können, in denen sie sich ausdrücken.
Ich brauche das Geld, um meine Kunst weiter frei entwickeln zu können (Picasso)
Man erkauft sich die Zeit fürs Malen durch den Verkauf der Bilder
Sie entziehen sich dem Verwertungsprozess so gut sie können, manchmal zu einem hohen Preis. Einer der Künstler bringt das auf den Punkt:
Die Kunst rennt nicht hinterm Geld her, sonders das Geld kommt von selbst zur Kunst
Wenn man wenig Geld hat, leidet man manchmal auch, aber wenn man nicht Künstler sein will, dann sollte man einen anderen Beruf nehmen, der Geld oder Sicherheit bringt.
Schrecklich wäre es, ihre Triebkraft Kunst machen zu müssen nicht mehr leben zu können:
Keine Kunst machen zu können, dann ist mein Leben ist ohne Sinn.
Meiner Phantasie, meinen Ideen nicht folgen zu können und einen wichtigen Teil meines Wesens nicht leben zu können.
Ebenso undenkbar ist es, sich in eine Organisation, ein Unternehmen einfügen zu müssen, Regeln zu folgen, die sie nicht selbst geschaffen haben, ihre Lebensform, die nicht zwischen privat und beruflich trennt, aufgeben zu müssen und keine Kunst, sondern nach Auftrag andere Produkte oder Dienstleistungen produzieren zu müssen. Wie die Entdecker auch lehnen sie Organisationen ab und die sie umgekehrt auch. Schon künstlerische Auftragsarbeiten zu machen, ist für manche ein Horror.
Ein Horror wäre es, wenn ich anderen einen Beruf ausüben würde, der nur meiner Existenzsicherung dient.
In einer Behörde, einer Organisation arbeiten zu müssen und in meiner Arbeit von anderen abhängig zu sein.
Hab Betriebe etc. durch Jobs kennen gelernt, ich ertrage solche Strukturen nicht, einen Chef zu haben, mich unterordnen zu müssen, Autoritäten ausgesetzt zu sein .
Von Auftragsarbeiten leben zu müssen, wo mir Vorgaben gemacht werden, ich nicht frei in meinen Ideen und deren Ausgestaltung bin. Ich lass mich von Käufern nicht beeinflussen, male die Bilder nicht nach Kaufkriterien.
Im Grunde haßt er jeden 'Auftrag', er fühlt sich nur wohl, wenn er ganz zwanglos arbeiten kann, sagt sein Freund und Biograph Brassaï über Picasso
Den Zwängen des Kunstmarkts ausgesetzt zu sein wie die ökonomisch erfolgreichen Kollegen, die Wartlisten von Kunden haben und sich von jedem Bild sofort trennen müssen.
Alle Antworten beziehen sich auf den künstlerischen Schaffensprozess.
Für manche gehört es zu diesem Prozess, dass man Entwürfe verwirft, Bilder übermalt, sich radikal umorientiert, weil die Idee nicht funktioniert, kein nach ihren Bewertungskriterien gutes Bild dabei herauskommen wird. Sie selbst definieren, wann sie gescheitert sind.
Wenn ein Bild nicht gelungen ist
Wenn ich nicht Gelungenes übermalen musste oder weggeworfen habe
Wenn ich verzweifelt und war und mich Selbstzweifel überkamen
Die Möglichkeit des Scheiterns gibt es bei jedem Bild, die Angst vor dem Scheitern kann man nur verlieren, wenn man einen Befreiungsschlag macht.
Picasso scheitert am Portrait der Mäzenin Gertrude Stein, bricht den Versuch nach etwa 90 Sitzungen mit ihr ab und malt es ein Jahr später aus dem Gedächtnis, es wird eines seiner besten Bilder und der Beginn einer neuen Stilepoche.
Belohnen und wertschätzten können sie sich selbst und es können diejenigen, die zu ihrer relevanten Umwelt gehören.
Ich selbst kann das, wenn ich Kunst mache, das bringt mir Glück, richtig Spaß und Überraschungen.
Die eigene Zufriedenheit über ein gelungenes Werk, ein perfektes Bild geschaffen zu haben belohnt mich.
Menschen können das, denen meine Bilder was sagen, die sie mögen und haben wollen und damit glücklich sind.
Wenn sie das Bild ernst nehmen, sich drauf einlassen und es anerkennen, auch durch den Kauf.
Galeristen, die meine Bilder verstehen und haben wollen. Anerkennung durch Kritiker, die ich respektiere. Mäzene, die mich unterstützen.
Welche weiteren Triebkräfte oder Karriereanker haben Künstler?
Der Karriereanker Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, engl. Autonomy
„A 'Totally me' for this anchor reflects your strong need to do things on your own, free of the constraints and rules that characterize most organizations and work projects. What you really want to hold on is a work situation or job context that gives you the feeling of freedom an independence you need.” (Schein et al. 2023, 47)
Diesen Karriereanker haben alle untersuchten Künstler. Auf die Frage: Was ist das Wichtigste in ihrem Künstlerleben, worauf würden sie ungern verzichten, werden von allen Künstlern die Möglichkeit Kunst zu machen, also diese Triebkraft leben zu können und das Bedürfnis bzw. das Bestehen darauf, dass man frei und autonom ist, genannt. Letzteres ist der Karriereanker Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, der bei Künstlern mit ihren individuumzentrierten Karrieren eine andere Ausprägung hat als bei Menschen mit organisationsbezogenen Karrieren.
Ich habe hier die Passagen aus der im letzten Abschnitt vorgestellten Analyse zusammengestellt, in denen dieser Karriereanker im 'O-Ton' zu hören oder korrekter nachzulesen ist.
Auf die Freiheit muss man sehr achtgeben. In der Malerei wie auch sonst. Picasso
Das Postulieren und Aufrechterhalten individueller Freiheit ist das Wichtigste.
Das Kerngeschäft ist das freie Arbeiten, freie Kunst machen zu können.
Frei zu sein, mein eigener Auftraggeber zu sein.
Auftragsarbeiten mache ich schon mal, aber das Eigentliche der Kunst ist das freie Arbeiten.
Horrorvorstellung: Von Auftragsarbeiten leben zu müssen, wo mir Vorgaben gemacht werden, ich nicht frei in meinen Ideen und deren Ausgestaltung bin.
Lieber verfertige ich ein Ich nach meinem Gusto, als mich Regeln zu beugen, die mich nichts angehen. Picasso
Die Freiheit eigene Regeln zu setzen.
Sich die eigenen Strukturen und die Ordnungen selber schaffen und sie auch wieder auflösen zu können.
Erfolg ist es, sich die Bedingungen für freie Kunst schaffen zu können,
Ich bewerte selbst, was Erfolg ist
Belohnen und wertschätzen können sie sich selbst: Ich selbst kann das, wenn ich Kunst mache
Ein selbstbestimmtes Leben zu führen, in meinem Rhythmus, keinem verpflichtet
Frei zu sein, den Tag gestalten können, nicht gestört zu werden,
In meiner eigenen Welt leben können
Natürlich brauchen Künstler Geld, um ihren Lebensunterhalt zu sichern, aber auch um ihre künstlerische Freiheit zu behalten, Werke schaffen zu können, in denen sie sich ausdrücken können. Sie versuchen jedoch sich so weit wie möglich dem Verwertungsprozess zu entziehen. Ein Höchstmaß an Willen zu Autonomie und Unabhängigkeit drückt sich in folgendem Satz aus:
Die Kunst rennt nicht hinterm Geld her, sonders das Geld kommt von selbst zur Kunst.
Undenkbar ist es für sie, sich in eine Organisation, ein Unternehmen einfügen zu müssen, also Regeln zu folgen, die sie nicht selbst geschaffen haben, ihre Lebensform, die nicht zwischen privat und beruflich trennt, aufgeben zu müssen und keine Kunst, sondern nach Auftrag andere Produkte oder Dienstleistungen produzieren zu müssen. Wie die Entdecker auch lehnen sie Organisationen ab und die sie umgekehrt auch.
Horrorvorstellung: In einer Behörde, einer Organisation arbeiten zu müssen und in meiner Arbeit von anderen abhängig zu sein. Hab Betriebe etc. durch Jobs kennen gelernt, ich ertrage solche Strukturen nicht, einen Chef zu haben, mich unterordnen zu müssen, Autoritäten ausgesetzt zu sein .
Mit diesem Anker kann man in Organisationen und Unternehmen arbeiten. Dort bezieht sich die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit auf die Freiheit bei der Erledigung von Aufgaben, also nicht darauf, sich generell die Aufgaben selber stellen zu können, sondern Wege und Mittel zur Erreichung der Ziele zu bestimmen, sich die Zeit selbst einteilen zu können und möglichst wenig Vorschriften und Einschränkungen bei der Arbeit zu haben. Und die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit bezieht darauf, wie ihr Chef sie führen sollte: Lediglich Ziele setzen, Rahmenbedingungen schaffen und sie dann in Ruhe lassen.
Das Ideal von Künstlern ist die Selbstständigkeit als Organisationsform, die tatsächlich am besten geeignet ist, um die oben beschriebenen Freiheiten und die Autonomie, die sie brauchen, zu gewährleisten.
Natürlich ist auch das eine Organisationsform im juristischen und betriebswirtschaftlichen Sinn, aber wie bei allen Solo-Selbstständigen treten die formalen Strukturen hinter die Persönlichkeit zurück.
Faktisch sind sie ihr eigenes Management, ihr Stab, ihre operative Basis, ihre unterstützenden Einheiten und ihre Technostructure - das sind die konstitutiven Einheiten von Organisationen nach Henry Mintzberg.
Da Künstler genauso wie Entdecker aber keine Lust haben Organisationen um deren selbst zu schaffen oder zu bedienen, werden die damit verbundenen Aufgaben nicht als ‚richtige oder eigentliche Arbeit‘ gesehen, sondern als Last.
Der Karriereanker Lebensstilintegration, engl. Live-Work Integration
“A 'Totally me' reaction here reflects your desire to balance the demands of work, family and taking care of yourself. … You want to make all of the major elements of your life combine together toward an integrated whole, and you therefore need to develop a work situation that provides enough flexibility to achieve such integration.
(Schein et al. 2023, 56)
Diesen Karriereanker wählen zwei Drittel der interviewten Künstler unter die ersten drei Anker. Auf die Frage: „Wann sind Ihr Arbeitsleben und Ihr Privatleben in einer für Sie guten Balance?“ gibt es drei Typen von Antworten:
Ich möchte das überhaupt nicht trennen, Beruf und Leben, das ist ja gerade das Gute am Künstlersein, Familie und Beruf leben zu können.
Besser kann man diese Lebens- und Existenzform, die alles umschließt, nicht formulieren, das ist gelungene Lebensstilintegration oder Life-Work Integration.
Die Balance, das ist kaum zu machen, man hat den Beruf aus Leidenschaft gewählt, da ist für nichts Anderes Raum, daran sind alle meine Beziehungen gescheitert. Das ist ein strukturelles Problem.
Früher als die Kinder klein waren, war das wichtig, aber selbst da, wenn ich gar keine Zeit mehr habe Kunst zu machen, fehlt einfach was.
Obwohl der Karriereanker unter die ersten drei gewählt wurde, ist die Integration aller Lebensbereiche nicht gelungen und wird als ein strukturelles Problem beschrieben.
In der ihm eigenen Radikalität formuliert Picasso seine Prämierung der Kunst vor Familie und eigenen Bedürfnissen:
Alles wird ihr geopfert, Du und jeder andere einschließlich meiner selbst. (Picasso)
Picasso weiß, dass er für sein schöpferisches Arbeiten und vor allem für die Phase, in der er neue Stile oder Medien entdeckt und erfindet, stark von Frauen abhängig ist. Die neue Lebensphase erfasst alles, seinen Kunststil, die Partnerin, die Wohn- und Arbeitsorte. Seine Prämierung der Kunst ist eindeutig, Kunst zu machen wird alles untergeordnet, Freunde, Familie und er selbst. Er lebt eine auf die Spitze getriebenen radikale Form der Lebensstilintegration, die in den Dienst seines Lebenssinns Kunst zu machen und neue Stile zu entdecken tritt.
Die Ausprägung dieses Karriereankers bei Berufstätigen mit organisationsbezogenen Karrieren
Künstler wählen früh mit ihrem Beruf die daran gebundene Lebensform, deren Merkmal die Lebensstilintegration ist. Dies ist anders als bei Menschen, die in Organisationen arbeiten, sie unterscheiden zwischen Privat- und Berufsleben, die in eine Balance gebracht werden müssen. Sie müssen sich die ihnen gemäße Form der Integration erarbeiten und sie immer wieder an die wechselnden Anforderungen ihres Berufes, ihre Persönlichkeit und ihres familiären und sozialen Umfeldes anpassen. Die Interviewfrage, die eine Trennung der Bereiche voraussetzt, ist also für Künstler in dieser Form nicht geeignet und zu modifizieren.
Die Schattenanker
Meine Grundannahme bei der Arbeit mit Karriereankern oder Triebkräften ist, wie ich im Menüpunkt „Triebkräfte von Entdeckerkarrieren“ im ersten Abschnitt „Entdecken wollen - Karriereanker oder Triebkraft?“ geschrieben habe, dass man mit einem triadischen Modell arbeiten muss, mit drei Karriereankern, aus deren Zusammen- und Gegeneinanderwirken, eine individuelle Triade der Triebkräfte entsteht.
Triebkräfte von Entdeckerkarrieren
Das ist bei den individuumzentrierten Karrieren von Künstlern die Triade aus der Triebkraft Kunst machen müssen und den Karriereankern Selbstständigkeit und Unabhängigkeit und Lebensstilintegration.
Alle dazwischenliegenden Karriereanker wie Dienst und Hingabe, Totale Herausforderung, Technisch funktionale Kompetenz und Unternehmerische Kreativität sind für das Bestimmen der Triebkräfte nicht relevant.
Unternehmerische Kreativität klingt nach Künstlerdasein, gemeint ist aber der Wille ein Unternehmen aufzubauen und sich zu beweisen, dass man es mit eigenen Ideen für Produkte oder Dienstleistungen zum wirtschaftlichen Erfolg bringen kann und dabei selbst wohlhabend oder gar reich zu werden. Der mit dieser Lebensform, dem Künstlerdasein, notwendig werdende Aufbau der Selbstständigkeit hat dienende Funktion, man will sich nicht mit dessen Gelingen, sondern mit seiner Kunst etwas beweisen.
Es ist nicht wirklich überraschend, dass die letzten beiden Anker bei allen Künstlern Sicherheit und Beständigkeit und General Management sind. Beides sind Karriereanker, die man nur in organisationsbezogenen Karrieren findet und die Menschen nur in Organisationen leben können.
Lesen Sie selbst:
General Management
“A 'Totally me' in this category means that you have a desire to manage broadly and pull together the various elements of an organization or project.” (Schein et al. 2023, 51)
Aufstieg in der Hierarchie bis in die oberste Managementebene, Macht haben zu wollen und sie zu nutzen, Verantwortung für das Unternehmen und seinen Erfolg zu tragen, die Arbeit von anderen koordinieren zu können, das sind Merkmale dieses Ankers.
Das alles ist für Künstler irrelevant, schon die Arbeit in Organisationen ist für sie fast unmöglich, die Aufbau- und Ablauforganisation und die Strategie eines Unternehmens zu steuern völlig undenkbar! Was für Künstler auch kaum nachvollziehbar sein dürfte, ist dass es für Menschen mit diesem Karriereanker zweitrangig ist, welche Produkte oder Dienstleistungen produziert werden.
Stability and Security
„A 'Totally me' in this category means that you really value and need stability and security…you seek employment security or tenure in that job or organization.” (Schein et al 2023, 55)
Schein beschreibt hier die immer seltener werdende Möglichkeit der langjährigen Zugehörigkeit zu einer Organisation (organizational stability), die damit verbundene finanzielle Sicherheit, die Sicherheit sich im Unternehmen auszukennen, die Verantwortung für eine begrenzte Aufgabe zu haben und eine Führungskraft zu haben, die die Rahmenbedingungen schafft und für den Schutz ihrer Mitarbeiter zuständig ist, wie auch die geographische Stabilität, also an einem Ort zu wohnen, wo man jederzeit solche Arbeitsplätze wieder bekommen kann.
So viel finanzielle Unsicherheit, wie das freie Künstlerdasein mit sich bringt, so viele Möglichkeiten der Selbstorganisation und so viel Freiheit in der Wahl der Aufgaben, all das erfordert die Fähigkeit, mit diesen elementaren Unsicherheiten leben zu können und diese Autonomie wirklich zu wollen. Künstler tragen die Last dieser Verantwortung für sich und ihre Familien, im anderen Fall trägt die Organisation diese Last. Wenn sie sich für das Künstlerdasein entscheiden, entscheiden sie sich gegen Sicherheit.